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Schweiz: Offener Brief der NGOs über möglichen Ausstieg der DEZA aus Lateinamerika

Schweiz: Offener Brief der NGOs über möglichen Ausstieg der DEZA aus Lateinamerika

In einem offenen Brief an den Bundesrat nehmen Schweizer NGOs, darunter PBI, Stellung zum möglichen Ausstieg der DEZA aus Lateinamerika.

Sehr geehrter Herr Bundesrat Cassis
Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates

An der Jahreskonferenz der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) vom 29. Juni 2018 haben Sie, Herr Bundesrat Cassis, die interessierten Kreise aufgefordert, zur zukünftigen Gestaltung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) in einen konstruktiven Dialog zu treten. In diesem Sinne richten sich die unterzeichnenden Organisationen mit diesem offenen Schreiben an Sie.

In Ihrer Rede haben Sie eine thematische und geographische Schwerpunktsetzung der DEZA angekündigt. In Verbindung mit dem Artikel der NZZ am Sonntag vom 17. Juni 2018, in welchem gut informierte Quellen von einem geplanten graduellen Ausstieg der Südzusammenarbeit der DEZA aus Lateinamerika berichten, löst diese Ankündigung bei den unterzeichnenden Organisationen der Schweizer Zivilgesellschaft grosse Besorgnis aus.

Die Präsenz und die Programme der DEZA in Lateinamerika, namentlich in Bolivien, Kolumbien, Nicaragua, Honduras, Haiti und Kuba, geniessen hohe Anerkennung, sowohl in den betreffenden Ländern, als auch bei der internationalen Gemeinschaft im Allgemeinen. Das langfristige Engagement, das mit innovativen Strategien und Ansätzen auf die grundlegenden Ursachen von Armut, stagnierender Entwicklung, Fragilität, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt abzielt, wird sehr geschätzt und ist gerade in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen in der Region dringend nötig.

Die unterzeichnenden Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten in verschiedenen Ländern Lateinamerikas tätig sind, beobachten mit grosser Besorgnis die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die sozio-politischen Konflikte und die massive kriminelle, strukturelle und politische Gewalt, welche die Region und insbesondere Zentralamerika an den Rand einer humanitären Tragödie bringen. Die politische Krise in Nicaragua hat in den letzten Wochen über zweihundert Menschen das Leben gekostet. In Honduras sterben jährlich tausende von Menschen, insbesondere Jugendliche, durch kriminelle und politische Gewalt. Hunderttausende sind auf der Flucht in Richtung Norden. Haiti, das ärmste Land der Region, ist regelmässig von sozialen und klimatischen Krisen betroffen. Auch Kolumbien befindet sich an einem kritischen Punkt, an dem sich zeigen wird, inwiefern die kolumbianische Regierung die mit der FARC-EP ausgehandelten Friedensverträge umsetzen und im ganzen Land für Entwicklung, Stabilität und die Sicherheit der kolumbianischen Bevölkerung sorgen kann. Zudem ist bekannt, dass die Qualifizierung vieler Länder Lateinamerikas als Staaten mittleren Einkommens über die Tatsache hinwegsieht, dass einige Regionen enorm hohe und teilweise steigende Raten von Armut und extremer Armut aufweisen.

Vor diesem Hintergrund scheint uns ein Ausstieg der DEZA aus Lateinamerika nicht nur ein herber Verlust von dringend benötigter fachlicher Kompetenz und Unterstützung, sondern auch weltpolitisch ein falsches Signal der Schweiz. Zurzeit stellen viele Staaten ihre nationalen Interessen wieder vermehrt in den Vorder-grund und ziehen sich aus internationalen Gremien und Abkommen zurück. Der Rückzug der DEZA aus einem ganzen Kontinenten, begründet mit kurzfristigen wirtschafts- und migrationspolitischen Interessen der Schweiz, reiht sich in unseren Augen in diese beunruhigenden Tendenzen auf globaler Ebene ein und stellt damit einen deutlichen Paradigmenwechsel in der Schweizer Aussenpolitik dar. Wir sind überzeugt, dass diese neue strategische Ausrichtung nicht nur dem in der Bundesverfassung verankerten Grundsatz der Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt, sowie den langfristigen Interessen der Schweiz einer friedlichen und gerechten internationalen Ordnung zuwiderläuft, sondern auch das Vertrauen in die Schweiz als glaubwürdiger Akteur auf internationalem Parkett gefährdet, das sich die Schweiz durch langfristiges Engagement und solidarische Beziehungen zu anderen Ländern über die Jahrzehnte aufgebaut hat.

Aus den oben aufgeführten Gründen ist es den unterzeichnenden Organisationen ein Anliegen, dass sich die Schweiz weiterhin überall dort einbringt, wo ihre Unterstützung einen sinn- und wirkungsvollen Mehrwert in der Bekämpfung von Armut, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen leistet. Wir bitten Sie deshalb höflich, in den Diskussionen rund um die zukünftige Ausrichtung der IZA von einer einseitigen Verknüpfung mit kurzfristigen wirtschaftlichen und migrationspolitischen Interessen der Schweiz abzusehen und in diesem Sinne auch auf einen graduellen Ausstieg der DEZA aus Lateinamerika zu verzichten.