Ich war ganz aufgeregt, als ich vernahm, dass nun endlich meine erste richtige Begleitung anstehen würde, nach all diesen Wochen der Vorbereitung. Es sollte eine Reise zu sechs verschiedenen indigenen Gemeinschaften werden. Begleiten würden wir zwei Mitglieder der Menschenrechtsorganisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz, welche die Gemeinschaften bei rechtlichen Angelegenheiten unterstützen wollten. Wir hatten schon alles vorbereitet, als plötzlich das Telefon klingelte.
Am Telefon war Juan*, einer der von uns begleiteten Personen bei CIJP, der uns erklärte, dass sich aufgrund einer Notsituation die Pläne geändert hätten und wir daher die Reise zu den indigenen Gemeinschaften würden verschieben müssen. Anstelle würden wir in die Region der Flussbecken von Pedeguita y Mancilla reisen, wo offenbar Personen massiv bedroht worden seien.
Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in der Region Urabá in einer koordinierten Aktion zwischen Militär und Paramilitärs tausende Menschen von ihrem Land vertrieben, um dieses für grossangelegte Monokulturen wie Ölpalm- oder Bananenplantagen sowie die Milch- und Fleischproduktion zu nutzen. Die vertriebenen Personen flüchteten vor allem in die Städte und hofften darauf, dass der Staat ihnen in irgend einer Weise zu ihrem Recht verhelfen würde, eines Tages auf ihr Land zurückkehren zu können. In den meisten Fällen bis heute vergeblich. Da sie das Leben in der Stadt nicht mehr aushielten oder nicht mehr finanzieren konnten, entschlossen sich einige Bauernfamilien, auch ohne staatliche Unterstützung wieder auf ihr angestammtes Land zurückzukehren. So auch die Familie Álvarez* im Flussbecken von Pedeguita y Mancilla.
Zwischen immensen Bananenplantagen und Kuhweiden
Vor etwas mehr als einem Jahr kehrte diese Familie auf das Stück Land zurück, das einst zu ihrem Bauernhof – hier Finca genannt – gehört hatte. Ihr Landstück war allerdings inzwischen aufgeteilt worden in Bananenplantagen auf der einen und riesige Kuhweiden auf der anderen Seite und gehörte offiziell einer grossen Firma. Sie entschlossen sich trotzdem zu bleiben, bauten sich ihr Haus wieder neu auf und rodeten einen Teil des Landes um Reis und Maniok für den Grundbedarf anpflanzen zu können. Um einen kleines bisschen Schutz zu erhalten, ernannte die Familie ihr Land zu einer „Biodiversitätszone“, einer Figur zum Schutz und Wiederaufbau des ursprünglichen Ökosystems und dem Recht auf angemessene Ernährung. Denn die Kleinbauernfamilien sind in erster Linie Selbstversorger, sprich sie bauen unterschiedliche Lebensmittel an und halten ein paar wenige Tiere, in erster Linie für den Eigenbedarf.
Mit ihrer Rückkehr ist die Familie allerdings ein Dorn im Auge derjenigen Personen und Firmen, welche das Land im Moment zu ihren Gunsten nutzen. Aus diesem Grund wird versucht, sie – wenn es sein muss mit Gewalt – dazu zu bringen, das Land wieder zu verlassen. An einem Abend im April, hatte man der Familie und anderen Zurückgekehrten damit gedroht, sie würden von Paramilitärs ermordet werden, sollten sie das Land nicht freiwillig wieder verlassen.
Angesichts dieser Mordrohungen reisten wir also gemeinsam mit einem Anwalt der Menschenrechtskommission Justicia y Paz nach Pedeguita y Mancilla. Der Weg von Apartadó, der Stadt in der wir leben, bis zur Finca der Familie war lange: Zunächst reisten wir fast zwei Stunden mit dem Bus, dann zwanzig Minuten mit Motorrädern, welche in den ländlichen Gebieten als Taxis fungieren, dann ungefähr eine halbe Stunde mit einem Auto, mit welchem wir auf einer Fähre einen Fluss überquerten. Mir fällt auf, wie sehr die Grossprojekte die Landschaft geprägt hatten. Vom tropischen Regenwald, der früher hier stand, ist tatsächlich nichts mehr übrig. Stattdessen passieren wir hunderte Bananenstauden und immense Weiden voll mit Kühen und Wasserbüffeln. Zuletzt marschierten wir noch ca. eine Stunde zu Fuss bis wir dann schlussendlich die Finca erreichten (siehe Fotostrecke).
Schutz dringend nötig
Bei der Familie angekommen gab es erstmal ein währschaftes Mittagessen inmitten von Hühnern, Schweinen, Hunden und Katzen: einen riesigen Teller Reis mit einer typischen Hühnergemüsesuppe, Sancocho genannt. Während wir assen, kamen nach und nach weitere zurückgekehrte Familien der umliegenden Gegend zur Finca, um am Treffen mit Justicia y Paz teilzunehmen. Die Idee war, die heikle Situation zu diskutieren, Informationen auszutauschen und die nächsten Schritte zu besprechen. Mit der Anwesenheit von PBI wollten wir ausserdem zeigen, dass internationale Beobachtung vor Ort war und dass es nicht unbemerkt bleiben würde, sollte der Familie etwas geschehen.
Nach dem Treffen, welches den ganzen Nachmittag lang dauerte, spannten wir unsere Hängematten. Da die Familie keine Elektrizität besitzt und bereits um 18:30 Uhr tiefste Nacht herrscht, gingen wir bald schlafen. Am nächsten Morgen verliessen wir die Familie früh morgens, da weitere Treffen in einer anderen Gegend auf uns warteten. Ich verabschiedete mich mit einem leicht mulmigen Gefühl von der so gastfreundlichen Familie. Würde ihnen unsere kurze Präsenz genügend Schutz verleihen? Dass unsere Sorge nicht ganz unberechtigt war, zeigte sich gleich am Tag danach: Wir erfuhren von Justicia y Paz, dass man uns bei der Familie gesehen hatte und dass man Juan einmal mehr damit gedroht hatte, ihn verschwinden zu lassen, sollte er nicht aufhören, sich für die zurückgekehrten Familien einzusetzen. Eine friedliche Lösung für den Konflikt in dieser Region scheint mir in diesem Moment in weiter Ferne und es hat den Anschein, als ob die Präsenz von PBI zum Schutz der MenschenrechtsaktivistInnen und den von ihnen betreuten Kleinbauern wohl auch in Zukunft noch dringend notwendig sein wird. Leider.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
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